Klimaziel statt Lobbydeal – Mit Spielzeugautos gegen die Abwrackprämie

Heute, am 2. Juni 2020, schließen sich verschiedene Gruppierungen der „For Future“-Bewegung in allen Teilen Sachsens dem bundesweiten Protestaufruf der „Fridays for Future“ gegen eine Abwrackprämie für PKW mit eigenen Aktionen an. Anlass ist der ursprünglich für diesen Tag in Berlin geplante Autogipfel, auf dem die Autolobby und Vertreter‘innen der Politik über die avisierte Abwrackprämie beraten wollten. An den Protestaktionen nehmen neben den „Parents for Future“ auch die „Scientists for Future“, „Omas for Future“ und „Health for Future“ in verschiedenen Orten in Sachsen teil.

In Dresden wird es im Rahmen der Demonstration von „Fridays for Future“ Dresden die Aktion „Keine Abwrackprämie für die Zukunft“ geben. Gemeinsam mit anderen Dresdner „For Future“-Gruppen rufen die „Parents for Future“ alle Kinder und deren Eltern dazu auf, nicht mehr benötigte Spielzeugautos zu sammeln und sie mit einem persönlichen Brief an Ministerpräsident Kretschmer für das Autoland Sachsen zu spenden.

Die Botschaft: „Wir schenken euch unsere alten Autos und wollen keine Abwrackprämie dafür. Wir wollen lieber eine Zukunft!“

Während die Demonstration der „Fridays for Future“ um 15:30 Uhr am Glockenspiel (Japanisches Palais) beginnt und mit einer Abschlusskundgebung auf dem Jorge-Gomondai-Platz endet, können die Dresdner‘innen ihre Spielzeugautos zwischen 17 und 17:20 Uhr auch direkt am gemeinsamen Stand der beteiligten Dresdner „For Future“-Gruppen vor dem Landtag abgeben.

An diesem Stand gibt es außerdem auch die Möglichkeit, weitere Bilder und Briefe an Ministerpräsident Kretschmer zu verfassen, die daraufhin als ein großes Paket versandt werden. Bei allen Aktionen werden selbstverständlich die Corona-Hygienemaßnahmen wie ein Mindestabstand von 1,5 m und das Tragen von Schutzmasken beachtet.

Auch in anderen Städten Sachsens wird es Aktionen verschiedener „For Future“-Gruppen vor Ort geben. Neben Leipzig gibt es in Freiberg es eine Fahrrad-Demonstration der „Fridays for Future“, sowie einen Aufruf der „Parents for Future“-Ortsgruppe, sich an der Aktion mit Spielzeugautos zu beteiligen. Bereits im Vorfeld des Aktionstages wurden in vielen Orten Sachsens Päckchen mit Spielzeugautos, Bildern und Briefen von Kindern und Erwachsenen an Ministerpräsident Kretschmer gepackt, die heute gemeinsam auf die Reise in die Dresdner Staatskanzlei geschickt werden.

„Klimaschädliche Verbrennungsmotoren sollen mit Millionen unterstützt werden – aber für den ÖPNV ist kein Geld da? Das versteht kein Mensch!“, sagt Bettina van Suntum von den „Parents for Future“ Leipzig mit Blick auf die gerade von der Stadt Leipzig angekündigte Verschiebung des 365-Euro-Tickets aufgrund der finanziellen Einbußen der Leipziger Verkehrsbetriebe während des Corona-Lockdowns.

„Bei Corona haben die Politiker‘innen wie selbstverständlich auf die Wissenschaft gehört. Nichts anderes erwarten wir auch bei der Klimakrise. Mit Blick auf die Abwrackprämie sind sich Klimaforschung, Wirtschaftswissenschaften und sogar der Präsident des BDI einig: Dieses Instrument ist untauglich. Und zwar sowohl ökonomisch, als auch ökologisch!“, ergänzt Dr. Dominic Eberle von den „Scientists for Future“ Dresden.

Carola Zscheile von den „Parents for Future“ aus Freiberg hat selbst ein Päckchen mit Freiberger Bildern und Spielzeugautos an Ministerpräsident Kretschmer auf den Weg gebracht. Carol Zscheile sagt: „Wir sind für ein Konjunkturpaket, dass die Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise wieder ankurbelt. Wir sehen es aber als zwingend notwendig an, dass die Milliarden, die jetzt in die Hand genommen werden, in die Förderung zukunftsfähiger, ökologisch nachhaltiger Technologien und Maßnahmen gesteckt werden. Daher unterstützen wir „Parents for Future“ auch die Petition 110043 der Initiative Neues Wirtschaftswunder an den Bundestag, die nur noch bis zum 3. Juni läuft.“

Für Melanie Gerhards von „Health for Future“ Leipzig, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, ist klar: „Die Abwrackprämie ist ein klarer Behandlungsfehler bei der Notfallbehandlung der Klimakrise. Eine wirksame Behandlung ist die umgehende Reduktion des CO2- Fußabdruck. Und ich möchte, dass die Politiker die hierfür bereits zur Verfügung stehenden Therapien anwenden.“

Thomas Gärtner von „Omas for Future“ fragt sich laut: „Können wir nicht eigentlich von unseren Politiker‘innen erwarten, dass sie die junge Generation vor der langfristig noch viel bedrohlicheren Klimakrise schützt, so wie sie uns ältere Generation vor der Coronakrise schützt? So wie es die Wissenschaft bereits seit Jahren einstimmig fordert? Die junge Generation, unsere Kinder und unsere Enkel, wird die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise real erleben. Wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, werden mehrere Milliarden Menschen bis Ende dieses Jahrhunderts ihre Heimat verlassen müssen, weil diese durch den Klimawandel nicht mehr bewohnbar sein wird.“

Mehr Informationen zu den geplanten Aktionen am 2. Juni 2020.

Wo bleibt der sächsische Green Deal?

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrem Green Deal eine deutliche Verschärfung der EU-Klimaziele und massive Investitionen in klimafreundliche Technologien angekündigt. Die Vorschläge der Konservativen von der Leyen werden von manchen als immer noch nicht ausreichend, von manchen als „historisch“ bezeichnet. „Wie dem auch sei, dagegen bleibt Sachsen sogar hinter der unter Experten unstrittig ungenügenden Klimapolitik der Bundesregierung zurück“, sagt Michael Höfler, Pressesprecher der Scientists for Future Regionalgruppe Dresden. „Energie- und Industriewandel könnten schon sehr weit gediehen, zehntausende zeitgemäße Arbeitsplätze geschaffen worden sein. Stattdessen wird die Folge vorgestriger Klimapolitik, gefährdete Arbeitsplätze in der fossilen Industrie, nun als Argument missbraucht, um das Unumkehrbare weiter auszubremsen. Noch könnte Sachsen eine Vorreiterrolle spielen, aber auch der neue Koalitionsvertrag ist sehr nebulös und enthält wenig Konkretes.“ Dass Sachsen gegenüber den meisten anderen Bundesländern bei der Klimapolitik weit zurück fällt, zeigt unter anderem auch die kürzlich veröffentlichte Vergleichsstudie zu Einsatz und Förderung von Erneuerbaren Energien in Deutschland.

Um Sachsen fit für die Zukunft zu machen, wäre unter anderem eine Solarpflicht für Neubauten, wie sie aktuell in Baden-Württemberg von der dortigen CDU befürwortet wird, sehr hilfreich. Weiterhin müssen der Kohleausstieg deutlich schneller und ambitionierter vonstatten gehen und die dortigen Tagebauflächen in Solar-und Windparks umgewandelt werden, will man die Energiewende effektiv mitgestalten und nicht nur zuschauen. Die Beteiligung in Bürgerparks fördert dabei die Akzeptanz und Mitgestaltung durch die Bürger vor Ort.

Für Industrieunternehmen bedeutet der Übergang in die klimaneutrale Produktion nicht nur eine Belastung, sondern vor allem eine Chance. „Firmen, die dies rechtzeitig begreifen, werden im Wortsinne sehr profitieren. Die Rahmenbedingungen sind nun jedenfalls deutlich. Sich weiterhin einseitig über die Belastungen zu beklagen und bei der Politik um eine Verwässerung der Klimaziele zu bitten, ist bestenfalls eine Strategie zum langsameren Sterben. Der Wandel wird sowieso kommen; wer jetzt nicht auf den Zug aufspringt, der wird später nicht mehr abgeholt“, so Höfler zum Abschluss.

Sachsen beim Länderranking der Erneuerbaren Energien abgeschlagen im Nachzüglerfeld

Die aktuelle Studie „Vergleich der Bundesländer: Analyse der Einflussfaktoren für den Ausbau der Erneuerbaren Energien 2017 – Indikatoren und Ranking“ von DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), ZSW (Zentrum für Solar- und Wasserstoffforschung) und AEE (Agentur für Erneuerbare Energien) zeichnet ein düsteres Bild für die Nutzung und Förderung von Erneuerbaren Energien in Sachsen im Vergleich mit den übrigen Bundesländern. Sachsen landet abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze und hat sich dabei im Vergleich zur letzten Erhebung von 2014 sogar nochmal um 2 Plätze verschlechtert. Besonders frappierend ist das schlechte Abschneiden im Themenbereich  „Anstrengungen zur Nutzung Erneuerbarer Energien“, welches den politischen Willen und die politischen Rahmenbedingungen für die Integration und Nutzung der Erneuerbaren Energien darstellt. Hier sind in mehreren Feldern deutliche Verschlechterungen von einem ohnehin schwachen Ausgangsniveau zu verzeichnen. Beispielsweise landet Sachsen bei den Programmen zur Förderung Erneuerbarer Energien wie auch beim Ausfüllen der eigenen Vorbildrolle abgeschlagen auf dem letzten Platz aller 16 Bundesländer. Auch bei der Bewertungen der Landesenergiepolitik durch die Fachverbände, erhält Sachsen insgesamt die schlechteste Note aller Bundesländer.

„Das ist eine verheerende Bilanz und ein Armutszeugnis für die sächsische Politik, die es in den letzten 10 Jahren ganz offensichtlich versäumt hat das Bundesland in der Energiepolitik modern und fortschrittlich auszurichten.“, sagt Dr. Dominic Eberle, Gründer der S4F-Gruppe in Dresden. „Gerade die Erneuerbaren Energien werden als Rohstoff der Zukunft betrachtet, dem für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung und die Ansiedlung von Unternehmen eine enorme Bedeutung beigemessen wird. Trotz der großen Potenziale für Erneuerbare Energien und einer breiten Unterstützung der Bevölkerung für die Energiewende, auch in den Kohleregionen, versäumt es die Landesregierung hier sträflich die Menschen mitzunehmen und das Land zukunftsfähig aufzustellen. Es bleibt zu hoffen, daß diese Studie eine Weckruf für die Politik ist. Die Südländer Bayern und Baden-Württemberg sowie Mecklenburg-Vorpommern machen vor wie es geht und sind Sachsen weit voraus.“, schließt Dr. Eberle sein Statement.

Industriewandel: Sachsen wird weiter abgehängt, Brandenburg macht vor, wie’s geht.

Während Sachsens Ministerpräsident den Kohleausstieg aufschiebt, nimmt im ökostromfreundlicheren Brandenburg mit dem kommenden Tesla-Werk der Industriewandel Fahrt auf. So entstehen tausende Arbeitsplätze, jedoch leider nicht in Sachsen.

Ein neues Werk für Batterien und E-Autos in Brandenburg, das sind für Deutschlands Wirtschaft hervorragende Nachrichten. “Es zeigt sich, daß das von Teilen der sächsischen Politik viel beschworene Dilemma zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und Klimaschutz gar nicht existiert.”, sagt Dr. Dominic Eberle, Gründer der Scientists for Future Dresden. “Ganz im Gegenteil: Klimaschutz ist ein Innovationsmotor und schafft neue, zukunftsfähige und gut bezahlte Arbeitsplätze. Aber nur in Regionen, die für diesen Wandel offen sind. Insbesondere Sachsen schneidet dabei mit seiner rückwärtsgewandten Energiepolitik unter Ministerpräsident Kretschmer sehr schlecht ab.”

Dies bestätigt sich, wenn man die Gründe betrachtet, warum sich moderne Industrie woanders ansiedelt, So war laut Brandenburgs Ministerpräsidenten Woidke die “Versorgung mit Ökostrom entscheidend” für Tesla, die Erneuerbaren Energien nennt er den  “Rohstoff der Zukunft”. Und hier hat Brandenburg (zusammen mit Schleswig-Holstein) bei der Pro-Kopf-Erzeugung von Ökostrom mit 7338 kWh pro Einwohner die Nase deutlich vorn. Sachsen liegt abgeschlagen mit 1439 kWh / Kopf im Verliererfeld der deutschen Bundesländer [1].

“Wie man mit dieser miserablen Bilanz an Ökostromerzeugung moderne Unternehmen im Land ansiedeln und bestehende Industrien halten will, ist mir ein Rätsel. Denn für diese ist die CO2-arme Herstellung ihrer Produkte von zentraler Bedeutung”, so Eberle. “Insbesondere in den Kohleregionen in der Lausitz und an anderen Orten Mitteldeutschlands gibt es enorme Möglichkeiten der Ökostromerzeugung auf offenen Abraumhalden. Allerdings werden diese Optionen von der Landesregierung aus ideologischen Gründen verworfen. Zum Schaden von Bewohnern, Wirtschaft und Klima”. Dabei würde dies sogar einen Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke als thermische Speicherkraftwerke ermöglichen. Tausende Arbeitsplätze könnten so entstehen oder gehalten werden. Auch eine Ansiedlung von Produktionsbetrieben aus Solar- und Windkraftbranche wäre nicht unwahrscheinlich.

“Mit seiner rückwärtsgewandten Strategie zum Klimawandel macht sich der Ministerpräsident hier aber nicht zum Problemlöser, sondern zum Problemfall für Sachsen”, so Eberle. “Auch muß an die vielen Nicht-Kohle-Regionen in Sachsen wie zum Beispiel das Erzgebirge gedacht werden. Hier leiden die Agrargenossenschaften und Bauern, die viele Arbeitsplätze erhalten, unter den Missernten aufgrund Extremwetterereignissen im Zuge des sich verstärkenden Klimawandels. Herr Kretschmer sollte versuchen, diese Zusammenhänge besser einzuordnen. Er ist Ministerpräsident von Sachsen und nicht nur von ein paar  Gemeinden in der Lausitz und südlich von Leipzig.”

Es nimmt nicht Wunder, daß Investitionen für eine zukunftsfähigere und ökologisch nachhaltigere Industrie nicht in die Lausitz fließen, obwohl sie die höchsten Fördersätze in ganz Deutschland hat. Es fehlt schon an den entwickelten Industrieflächen der entsprechenden Größe. Hier hätte die Politik in Sachsen längst tätig werden können. “Es ist für mich absehbar, daß Sachsen so langfristig aufs wirtschaftliche Abstellgleis gefahren wird.”, sagt Eberle zum Abschluß.


[1] https://www.foederal-erneuerbar.de/uebersicht/bundeslaender/